Kathrin im Interview

Bewusste Weiblichkeit als Energiequelle

Für seine Interviewreihe „Mach’s weg“ hat Laurens Dillmann Interviews aus verschiedenen Perspektiven über eines der wichtigsten Themen im Leben geführt: Gesundheit. 

 

„Sinnlichkeit, Genuss, Hingabe. Diese abstrakten Begriffe will ich ja nicht nur auflisten. Die tiefe Sehnsucht vieler Frauen ist, weibliche Qualitäten wie z.B. Genuss wirklich zu spüren und mehr zu verkörpern, sprich sich selbst genussvoll zu erleben. Im Zentrum stehen auch immer das Üben und Verfeinern unserer Wahrnehmung.“

Das Interview wurde im Juli 2024 in Gutach in der Praxis Wesenskern geführt.

 

 

Laurens Dillmann: Wie würdest du deine Arbeit mit dem Thema Weiblichkeit beschreiben?
 

Kathrin Joos: Kern ist, dass ich nun schon seit über drei Jahren regelmäßig Frauenkreise leite. Zum Beispiel eine Gruppe von Frauen, die sich alle zwei Wochen in meinem Raum trifft. Dazu gibt es Workshop-Angebote, in denen auch nur Frauen zusammenkommen. Eines meiner Workshop-Angebote ist ans Business angelehnt, aber auch da geht es darum, wie wir unsere weiblichen Qualitäten im beruflichen Alltag nutzen können, für mehr Energie und Selbstbewusstsein. In meiner Jahresgruppe, dem Enfaltungskreis, steht die eigene Entwicklung und  insbesondere die Begegnung von Mann und Frau im Vordergrund. Ein Stück weit ist das aus meiner vielfältigen Arbeit mit den Frauen  entstanden, die das, was wir miteinander erarbeitet haben, auch im Kontakt mit dem männlichen Gegenpol üben und verfeinern möchten. 

Auch in der Einzelarbeit finden überwiegend Frauen zu mir. Ich arbeite immer auch mit Männern, die herzlich willkommen sind, aber Frauen trauen sich früher an diese Themen, ist mein Eindruck. Im Einzelsetting lässt sich natürlich auch intensiver, persönlicher und individueller arbeiten, als Ergänzung und Vertiefung zu meinen Gruppen. Somit ist das Thema Weiblichkeit und all das, was es damit auf sich hat, im Grunde immer Teil meiner Arbeit.

 

Was passiert in diesen Gruppen?


Das hängt davon ab, welche Fragen meine Teilnehmerinnen mitbringen, wo sie gerade stehen und wie viel Vorerfahrung sie mitbringen. Am Anfang geht es meistens darum, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen, was weibliche Qualitäten sind. Die meisten Frauen haben kaum eine Idee davon. Es gibt vielleicht ein paar verschwommene Begriffe, aber was in der Essenz weibliche und männliche Qualitäten sind (die ich beide in mir habe), da herrschen oft Ratlosigkeit und fehlende innere Orientierung. Diese verschiedenen Qualitäten und Begriffe, die da auftauchen, wirklich zu verstehen, zu ordnen und sie auch immer mehr verkörpern zu lernen, ist für meine Arbeit sehr wichtig. 

 

Worum geht es in deiner Arbeit?


In meiner Arbeit geht es immer wieder darum, Körper und Psyche zu verbinden. Somit vermittle ich auch, unseren eigenen Körper wieder wahrnehmen und sich selbst spüren zu können. Wir nehmen uns dann zum Beispiel eine dieser Qualitäten und verkörpern sie: Sinnlichkeit, Genuss, Hingabe… zunächst sind das nur abstrakte Begriffe. Die tiefe Sehnsucht vieler Frauen ist jedoch, diese weiblichen Qualitäten wie z.B. Genuss wirklich in sich selbst zu spüren und mehr körperlich auszudrücken, sprich sich selbst genussvoll zu erleben. Im Zentrum meiner Arbeit steht damit auch immer das Üben und Verfeinern unserer Wahrnehmung von uns selbst.

Du kannst zum Beispiel einfach so mit deiner Hand über den Teppich hier in meinem Raum oder irgendeinen Gegenstand streichen. Oder du streichst darüber, mit dem Fokus, dich selbst dabei wirklich zu genießen. Das hört sich vielleicht im ersten Moment komisch an, doch wenn du es ausprobierst, verändert sich deine Wahrnehmung von dir selbst und dem Teppich direkt. Oder wie würdest du durch einen Raum laufen, wenn du dich selbst dabei maximal genießt? Das ändert alles. Die meisten Frauen laufen dann z.B. viel langsamer, raus aus dem Takt des Alltags. An diesem kleinen Beispiel wird die Art meiner Arbeit deutlicher. Es geht im Wesentlichen darum, sich im eigenen Körper zu spüren und gleichzeitig auch zu verstehen, worum es im Kern bei dieser Erfahrung geht. Das reine Erleben wäre zwar eine schöne Erfahrung, doch wenn wir uns wirklich verändern und entfalten wollen, braucht es das Begreifen und Bewusstwerden des Erlebten. Dazu gehört natürlich auch, Sehnsüchte und Nöte einzubringen. Gerade durch die Arbeit mit Blockaden, Ängsten und den Aspekten, die in unserem toten Winkel liegen, entsteht Entwicklung.

Zu mir kommen Frauen von jung bis alt. Beim Thema Genuss liegt der Bezug zum eigene Körper ja auch sehr nahe. Hier bringt jede Frau ihre eigenen Unsicherheiten und selbstsabotierenden Stimmen mit. Eindrücklich ist die Geschichte einer meiner Klientinnen, eine über 70-Jährige Frau, die unter Tränen sagte, dass sie beim Eincremen ihren Bauch ausspart, weil sie ihn mit über 70 immer noch nicht als einen liebenswerten Teil von sich erlebt. Den jüngeren Frauen hat der Atem gestockt, zu erkennen, wie lange solche Glaubenssätze von Selbstablehnung mächtig sein können und wie sehr sie unsere Lebensenergie blockieren und beeinflussen. Doch schon das erste Wahrnehmen und Teilen mit den anderen Frauen ist oft heilsam. Und so arbeite ich immer sehr nah an den Themen, die die Frauen mitbringen.

 

Also es geht nicht darum, neue Qualitäten zu lernen, sondern die wiederzuentdecken, die bereits da sind?
 

Ja, genau. Doch manche sind verschüttet. Und wieder andere sind auch auf eine Art „neu“ für die Frauen, weil es ungewohnt ist, diese wirklich zu verkörpern.

 

Warum ist dieser Zugang verloren gegangen?


Zuerst die eigenen persönlichen Erfahrungen. In der Catlike-Methode spielt neben der Prozessarbeit die Bodynamic, also die Entwicklungspsychologie, eine große Rolle. Jeder Mensch hat mehr oder weniger Erlebnisse, in denen er Fähigkeiten nicht gelernt hat, oder diese blockiert sind, oder sie im Kontakt mit anderen nicht zeigen kann. Das hat viel mit der eigenen Biografie zu tun. Diese blockierten oder verschütteten Ressourcen wieder zu entdecken und zu lösen, darum geht es.
Und andererseits hat es auch damit zu tun, wo wir gerade gesellschaftlich stehen. Sich mit der Essenz von Weiblichkeit und Männlichkeit auseinanderzusetzen, ist ziemlich verloren gegangen. “Da draußen” gibt es momentan eher eine Gegenrichtung: Alles soll möglichst gleich sein, alles vermischt sich zu einem Einheitsbrei und wir werden immer verwirrter, wer wir eigentlich im Kern sind. Doch viel spannender und erotischer wird es, wenn Männer und Frauen sich wieder fremder werden.

Z.B. arbeite ich auch immer wieder mit dem Thema Kleidung. Da geht es um die Frage, wie ich mich nach außen zeige und was eigentlich zu mir passt. Immer wieder stellt sich bei diesem Thema die Frage: Was denken dann die anderen über mich? Das ist ein wichtiger Grund, warum der Zugang zur eigenen Weiblichkeit für viele verloren gegangen ist: Eine hohe, fast maximale Orientierung am Äußeren. Was denken, finden, reden die anderen über mich? Was sollte ich tragen und was nicht, was hätte meine Mutter verboten…Bei diesem Beispiel werden die individuellen Prägungen und Glaubenssätze besonders deutlich. Dabei verlieren wir die Wahrnehmung unseres eigenen Körpers komplett. Wie fühle ich mich hier und jetzt tatsächlich in diesem Kleid, dieser Farbe, diesem Stoff, wenn diese ganzen Begrenzungen nicht da wären? Wir haben verlernt, unseren eigenen Körper zu fühlen und ihm als Referenzpunkt zu vertrauen. Das Schöne ist, ein weiblicher Körper ist ja schon in jeder Zelle weiblich, es gilt, ihn ganz zu spüren und zu bewohnen. Dieser Prozess ist nicht immer einfach und braucht Unterstützung.

 

Was inspiriert dich?


Über viele Jahre hinweg, meine eigene Arbeit mit mir selbst und die Ausbildung in der Catlike-Methode nach Philipp Alsleben. Ähnlich wie die Frauen in meiner Arbeit, bin auch ich auf dem Weg zu immer mehr authentischem „Ich Selbst“. Vielleicht ein paar Schritte voran, aber auch diese erarbeite ich mir unter anderem gemeinsam mit Frauen aus meinem eigenen Feld. Gleichzeitig sind auch die Frauen in meinen Gruppen eine große Inspiration. Es sind diese so besonderen und heiligen Momente, wenn wir zusammenkommen. Die Anbindung an einen „höheren Raum”, und durchlässiger zu werden für das, was dann entsteht, ist eine große Inspirationsquelle an sich. Meine Teilnehmerinnen und Klientinnen zu sehen und zu erleben, was entsteht, wenn wir uns in diesen heiligen inneren Räumen bewegen, ist mir so eine große Freude.

Als Bücher zum Thema Weiblichkeit kann ich “Sacred Woman” von Heide-Marie Heimhard, „Weiblichkeit leben“ von Leila Bust oder “Die Wolfsfrau” von Clarissa Pinkola Estes empfehlen. Für mich Grundlagenwerke, die ein großes Spektrum von Weiblichkeit beleuchten. Von Zyklusbewusstsein über alte Mythen und Märchen bis hin zu einem möglichen spirituellen Weg von Frauen. Dazu kommen Bücher wie “Die Seele des Weibes”, oder “Roter Mond”, die ich hin und wieder in meine Arbeit einfließen lasse. Filme wie “Ocean’s 8” oder, jüngst erst erschienen, “Wunderschön”, wo es um das Thema Frauenkörper oder spannende Frauenfiguren geht.

 

Wie schärfe ich meinen Blick für die weiblichen Qualitäten, von denen du sprichst?
 

Ein Thema in meinen Gruppen ist immer wieder Verführung. Was hat es damit auf sich? Ich kann nur verführen, wenn ich mich auch verführen lasse. Das geht also nur, wenn ich neugierig bin und mich faszinieren lasse. Viele Frauen erzählen mir: Auf dem Weg zur Arbeit habe ich diese oder jene Frau im Zug gesehen – die gefiel mir, die fand ich toll, die hatte eine ganz besondere Ausstrahlung! Wenn wir unsere Wahrnehmungsfähigkeiten erhöhen, fällt unser Blick wieder ganz automatisch auf diese natürlichen Schönheiten, die uns umgeben. Es geht immer um mehr Wahrnehmung und mehr da sein, dich mehr im Körper zu spüren. Also bleib neugierig, Laurens, und lass dich verführen vom fremden Weiblichen und den weiblichen Qualitäten.

Wenn wir uns mehr wahrnehmen und mehr in unserem Körper verankert sind, können wir uns auch mehr faszinieren lassen. Wenn in uns jedoch  das alltägliche Selbstsabotage-Kopfkino läuft, das uns hemmt, blockiert und angstvoll zurückhält, sind wir wenig in der Lage, neugierig zu bleiben.  Dann kannst du vielleicht sehr gut weiter mechanisch funktionieren, doch das ist weit davon entfernt, mehr Genuss, Energie und Lebendigkeit in dein Leben zu holen.

 

Was ist dein Verständnis von Gesundheit und wie fließt es in deine Arbeit mit ein?

Ein weiterer wichtiger Teil meiner Arbeit mit dem weiblichen Pol ist der Aspekt der Erotik, die ich verstehe als die Kraft, die nach der Vollständigkeit sucht. Die Suche nach der Vollständigkeit in der Polarität. Die Grundlagen, um mehr fließende Erotik in deinem Leben zu haben, sind Vitalität und Fülle. Gesundheit ist für mich ein Teil davon. Mehr Vitalität und Fülle spüren wir, wenn unser Körper in authentischer Verbindung ist mit unserem Fühlen und Denken. Wenn wir mehr innere Kongruenz spüren und angebunden sind an das Wesentliche in uns. Die meiste Zeit unseres Lebens schauen wir jedoch nach draußen, auf die anderen Menschen und auf das, was von uns erwartet wird. 

Am Anfang, wenn Frauen in meine Gruppen kommen, sind sie oft in der inneren Haltung: ”Oje, was denken die anderen Frauen von mir? Bin ich gut genug? Habe ich das Richtige an? Die anderen sind sicher viel schlauer, schon weiter etc.” Wir reagieren mit unseren Emotionen, unseren Gedanken und unserem Körper. Dieses Reagieren auf die Welt da draußen und das möglichst gut funktionieren wollen, verursacht in uns Spannung, Stress und Überforderung. Doch was passiert, wenn wir uns mehr für unseren Innen-Raum interessieren und anfangen, uns an uns selbst auszurichten? Für viele meiner Klienten ist das der erste Schritt für spürbar mehr Selbstbewusstsein und somit mehr Vitalität und Fülle. Es beginnt damit, überhaupt erst diesen inneren Referenzpunkt wieder zu entdecken, zu spüren und sich dann immer mehr daran auszurichten. Irgendwann fragen wir uns dann: Was gefällt mir an den anderen in der Gruppe? Mit wem will ich gerne die nächste Übung machen? Wir benutzen häufiger die Worte: “Ich finde…, ich denke…, ich will…” Wir fühlen uns unabhängiger und entwickeln mehr eine eigene Richtung. Ja, für unser Umfeld werden wir herausfordernder, ungewohnter, vielleicht auch unbequemer, aber auch spannender, aufregender und magnetischer. Vielleicht kannst du schon spüren, während du das liest, dass das mehr im Fluss sein bedeutet und mehr Fülle, also auch mehr Vitalität und Gesundheit.

 

Was kann nur in einer Gruppe von Frauen geschehen? 
Was verändert sich, wenn ein Mann dazu kommt?
 

Nur unter Frauen werden wir sinnlicher, tanken untereinander auf und nähren uns insbesondere durch körperliche Berührungen. Dieser Raum, den ich gemeinsam mit den Frauen gestalte, hat wie das Element Wasser etwas Fließendes, ist gleichzeitig sehr körperlich und in sich vollständig. Mit der Erkundung dieses Raumes wird vielen Frauen bewusst: Ich muss diese Art von Nahrung, um mich aufzutanken, nicht beim Mann holen. 

Es ist ein Irrglaube, dass das, was mich als Frau vollständig macht, auf der männlichen Seite liegt. Sinnlichkeit und Körperlichkeit ist die weibliche Essenz, die männliche Essenz ist das Geistige und das Bewusstsein. Wenn Männer dazu kommen ist sofort eine ganz andere Spannung im Raum. Es braucht also diese beiden ganz unterschiedlichen Pole, damit es zu einem spannenden Spiel wird, zwischen Mann und Frau. Das Spiel der Suche nach der Vollständigkeit in der Unvollständigkeit.

 

Wie siehst du die Zukunft aus weiblicher Perspektive?


Ich versuche das mal aus meinem Wirkradius von vielleicht 5- 500 Kilometern zu beantworten: 

Ich kenne viele der Frauen auch persönlich, mit denen ich arbeite und viele von ihnen sich auch untereinander. Wenn wir uns dann in Kontexten wie Schule oder auf einem Fest begegnen, begegnen wir uns anders als andere Frauen. Wir umarmen uns länger, mit unseren ganzen Körpern und nicht nur oberflächlich. Wir kennen auch viele der geheimen „Innenräume“ der anderen Frauen, was eine tiefere Begegnung ermöglicht. Die Frauen beginnen auch, sich anders zu kleiden. Sie blühen und leuchten mehr und wecken damit wiederum das Interesse anderer Frauen und natürlich auch das der Männer. Aus unserer Frauengruppe ist z.B. auch eine Männergruppe entstanden, weil diese bemerken: Wir wollen auch unsere eigenen Räume und unser  Zusammensein pflegen! Diese sich vervielfältigende Leuchtkraft entspricht auch der Vision meiner Arbeit. 

Ich wünsche mir, dass Frauen und Männer wieder eigene Räume kreieren, in denen sie für sich sind, um dann klar, sich selbst bewusst und aufgetankt in die Begegnung mit dem jeweils anderen Pol gehen zu können. Das macht auch einen großen Unterschied für die Kinder und die Familien und führt vielleicht eines Tages zu völlig neuen Arten des miteinander Seins, Wohnens und Zusammenlebens.

 

Vielen Dank für das bereichernde Interwiew.
 

Lieben Dank für deine Zeit und den schönen Austausch.
 

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WESENSKERN, die Praxis 
für körperpsychologische Prozessbegleitung, 
Weiblichkeit und 
Organisationsentwicklung 
im Raum Freiburg/Emmendingen/Elztal


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